Das Schweizer Klima charakterisiert sich durch eine ausgeprägte Jahreszeitlichkeit; durch warme Sommer, kalte und niederschlagsreiche Winter und die wechselhaften Übergangsjahreszeiten dazwischen. Diese Saisonalität widerspiegelt sich in der Thermikdauer und -stärke: Thermik ist im Winter generell seltener, kleinflächiger, schwächer und kurzweiliger und entsteht meist nur an Stellen, die hinsichtlich verschiedener Kriterien optimal sind. Sonneneinstrahlung ist die Urkraft des Wettergeschehens. Weltweit, versteht sich, doch schauen wir in der Folge nicht über den Tellerrand und konzentrieren uns auf die Alpennordseite der Schweiz. Die Sonne scheint stets gleich stark, doch steigt sie nicht immer gleich hoch: sie trifft unsere Breiten winters in einem deutlich spitzeren Winkel denn sommers, die Folge davon: weniger Energie/Wärme wird eingetragen. Über den Daumen gepeilt resultiert für die Wintersonnenwende am 21. Dezember mittags, verglichen mit der Sommersonnenwende am 21. Juni die Hälfte der Strahlungsleistung, also halb so viel Energie! Nun gilt es noch die Tageslänge zu beachten, das heißt die Anzahl Stunden, da die Sonne scheint: das sind im Winter wiederum rund halb so viele wie im Sommer (Winter meint dabei modellhaft den 21. Dezember, Sommer den 21. Juni, das sind die beiden Extreme. Mit jedem weiteren Tag weg von diesen Daten, nähern sich die Werte wieder an). Die Hälfte der Leistung, die bloß halb so lange wirkt: im Winter erreicht uns demnach über den Tag hinweg nur ein Viertel der sommerlichen Strahlungsleistung (½ x ½ = ¼)! Oder besser gesagt, aufgrund der viermal geringeren Energie, die wir abbekommen, ist es kalt und Winter.
Dass sich dieses Energiemanko auch auf die Thermikentwicklung auswirkt, erstaunt nicht. Sonnenstrahlung, die auf eine Oberfläche trifft, erwärmt diese und dadurch auch die Luft über dieser Oberfläche, bis sie im Vergleich zur Umgebungsluft ein paar Grad Celsius wärmer (=weniger dicht/schwer) ist und aufsteigt/auffließt = Thermik. Im Winter, die Haupteinflussgröße ist nun halbiert, gilt es, die andere, maßgeblich in die Thermikentwicklung einspielende Beteiligte optimal zu wählen, wollen wir unseren Flug verlängern, namentlich die Oberfläche die angestrahlt wird, samt ihrer Feuchtigkeit, Vegetation, Wärmeeigenschaften, Neigung und Exposition. Erschwerend hinzu kommt, dass eitel Sonnenschein, auf den wir zwingend angewiesen sind, im Winter oft mit einer stabilen Hochdrucklage einhergeht, unten grau, oben blau. Die ohnehin schon kalte (und darum dichte und schwere) Winterluft ist zusätzlich trocken (und darum noch schwerer) und wird durch den hohen Druck am Aufsteigen gehindert. Das mag auf dem Papier beeindrucken, entmutigen lassen sollten wir uns davon indes mitnichten – Winterthermik existiert! – begeben wir uns auf die Suche!
Die Bildtabelle zeigt die Winter- und Sommersonnenwende in Zahlen am Beispiel für die Stadt Luzern. (Quelle: www.timeanddate.de)
Auch im Winter hat die Sonne ihren Meridian genau im Süden; die Sonnen “trifft” uns von da am höchsten und darum stärksten (ungefähr 12:30 Uhr Schweizerzeit), ehe sie absteigt um im SW unterzugehen. Daher werden viele W-/SW-Hänge, die ich vom Sommer her wohlmöglich als verlässliche Thermikquellen kenne, im Winter gar nicht erst oder nur spärlich und sehr spät besonnt. Demnach ist, was im Sommer am besten funktioniert, im Winter unbedingte Voraussetzung: ein Hangexposition von S-SSW (180-200°).
Trifft Sonnenstrahlung rechtwinklig (90°) auf eine Oberfläche, resultiert daraus der maximale Energieeintrag. Im Hochwinter erreicht uns die Sonne zur Mittagszeit in einem Winkel von 20°, daher weit entfernt des rechtwinkligen Ideals. Dies zu kompensieren sind wir auf steile/abfallende Hänge und Wände angewiesen (derart kann die Strahlungsleistung kurzzeitig (Sonnenhöchststand + 2h) durchaus sommerliche Werte erreichen). Gleich verhalten wir uns beim winterlichen Bräunen; für den optimalen Teint richte man sich im Liegestuhl aus und lege sich mitnichten flach auf den Boden (jedes Bleichgesicht weiß dabei um die Empfindlichkeit der Nase; auch im Gelände werden Rücken und Kuppen intensiver besonnt als Kessel und Mulden). Je näher der Wintersonnenwende (21. Dez.), desto steiler die Hangneigung (der Liegestuhl) für die optimale Einstrahlung! Solche Hänge, die zudem südexponiert sein müssen, finden sich naturgemäß im Gebirge, den Alpen und weniger bis gar nicht in den Voralpen und im Flachland. Aufgrund dieser fehlenden Neigung ist Flachlandthermik im Winter die Ausnahme. Generell gilt: je höher und steiler, desto besser. Mit ein in dieses Credo spielt maßgeblich auch die Luftdichte (bzw. der Luftdruck als Ursache): je höher, desto weniger dicht die Luft (weniger Teilchen im selben Volumen), desto schneller erwärmt sie sich – in der Höhe bildet sich Thermik daher schneller/eher. Je steiler der Hang, desto mehr Einstrahlung bekommt die einzelne Tanne ab. Lucian Haas vergleicht das in seinem aufschlussreichen Artikel zur Schneethermik treffend mit den ansteigenden Rängen eines Theaters, die allen Zuschauern freie Sicht auf die Bühne gewähren. Nun gilt es jedoch dieses “je höher und steiler, desto besser” zu relativieren: 1. Die Waldgrenze liegt auf der Alpennordseite auf rund 1800 m ü. M. 2. Eine für geschlossenen Baumbestand tragfähige Humusmächtigkeit kann sich bis rund 45° Gefälle bilden, alles darüber bleibt blank und allenfalls krautig bewachsen. 3. Zu wie hoch gelegenen Startplätzen gelange ich im Winter bequem und gefahrenlos, und von da in die Luft?
Ein Blick in die Praxis schafft Klarheit: die dunklen Flächen des Waldes und die Baumgrenze als Abrisskante. Winterthermik in Davos. (Bild: Ueli Neuenschwander)
Es gilt: je trockener, desto besser. In der Höhe, wo, wie soeben beschrieben, weniger dichte Luft und steile Südhänge für die Thermikentwicklung gegeben sind, liegt im Modellwinter Schnee. Schmilzt der Schnee oder fällt bereits der Niederschlag als Regen, ist der Boden feucht. Die eingetragene Sonnenenergie dient dann der Verdunstung des Regen-/Schmelzwassers und nicht der Erwärmung des Bodens. Durch die verminderte Tagesstrahlungsbilanz dauert die Verdunstung/Abtrocknung viermal länger als dies im Sommer der Fall ist. Darum ist davon auszugehen, dass auch ein ausgeaperter Südhang noch über Tage hinweg zu feucht ist, um sich thermikrelevant erwärmen zu können. Senkrechte Felswände werden kaum nass und trocknen schnell. Sie erfüllen daher das Kriterium der geringen Feuchtigkeit. Doch erwärmen sie sich ausreichend und schnell genug, so wie dies Tannennadeln tun? Letztere nehmen keine Feuchtigkeit auf und es tropft allfällige Restfeuchte ab oder verdunstet auf der dunklen, wachsartigen Oberfläche schnell. Die Nadeln erwärmen sich und durch die Wärmestrahlung (es handelt sich dabei um langwellige Strahlung, die im Vergleich zur kurzwelligen Sonnenstrahlung vom Schnee nicht reflektiert wird und darum zu einem Energieeintrag führt) schmilzt der Schnee und gleitet von den Ästen – Tannen apern nach Schneefall sehr schnell aus. Milde Temperaturen und Wind beschleunigen diesen Vorgang zusätzlich.
Ein Tannenwäldchen im Zeitraffer (20 min Zeitspanne zwischen den Einzelbildern): 3. Februar 2022 auf dem Weissboden oberhalb des Schächentals auf 1720 m ü. M., südliche Exposition, ca. 35° Hangneigung. Über Nacht fielen ca. 20 cm Neuschnee. Der Zeitraffer umfasst die vier Stunden, vom ersten Sonnenstrahl um 8:30 Uhr bis zum Mittag um 12:30 Uhr. Da waren die Fichten mehrheitlich frei von Schnee, doch die Sonne weg. (Quelle: www.roundshot.com)
Es gilt: je luftiger, desto besser. Fels hat eine hohe Wärmekapazität, daher er speichert Wärme lange und gibt sie dann allmählich an die Umgebung ab. Dafür dauert es lange, bis er warm ist (man spricht von thermischer Totzeit); im Winter vielerorts wahrscheinlich zu lange, da die halbe Energie und die halbe Tageslänge nicht ausreichen, Gestein thermikrelevant zu erwärmen. Daher sind Oberflächen mit schlechter Wärmekapazität und -leitfähigkeit für uns im Winter von Vorteil: alles was sich schnell erwärmt und schnell wieder abkühlt. Das ist dann meist Organisches mit hohem Luft- und geringem Wasseranteil, wie zum Beispiel Holz, Tannennadeln, trockene Erde/Äcker und gleiches mehr. Äcker finden sich traditionsgemäß großflächig nur im Flachland und nicht in den Alpen. Nebst der beschriebenen fehlenden Neigung zur Sonne hin, liegen sie im Winter zudem meist in kalter Luft unterhalb unserer mittelländischen Modellinversion auf 1000-1500 m ü. M., welche die Strahlung zusätzlich verringert/streut.
Wir haben nun den Blick im Artikelverlauf zusehends von makro auf mikro skopiert, vom Gesamtheitlichen zum Detail. Und zum Kern, der die Details im Innersten zusammenhält und der Beantwortung der eingangs gestellten Frage. Die Winterthermik ist fast angerichtet, es fehlen noch einige wenige Zutaten und Voraussetzungen! Nadelbäume haben eine sehr tiefe Albedo (0,2-0,05); daher vermögen sie sehr viel des eintreffenden Sonnenlichts zu absorbieren (80-95%), das somit größtenteils in Wärme umgewandelt wird und der Thermikentwicklung dient. Ist der Untergrund des Tannenwaldes schneebedeckt, wird der Wald durch die reflektierte, diffuse Strahlung auch vom Boden her bestrahlt und der Energieeintrag gesteigert. Waldoberflächen weisen im Winter gegenüber ihrer Umgebung eine um 1-2° Celsius erhöhte Temperatur auf (zum Vergleich: ein trockene Alpweide im Sommer erreicht schnell ein Mehrfaches dieses Werts). Im Sommer ist es umgekehrt, Waldoberflächen sind dann bis zu 2° Celsius kühler als die Umgebung; die Blätter "schwitzen" Wasser und diese Transpiration hat den gleichen Effekt wie bei uns Säugern: Verdunstung enzieht der Luft Energie/Wärme (die Energiebilanz der Photosynthese lassen wir aussen vor). Das erklärt, warum Wälder im Sommerhalbjahr thermisch nicht sehr interessant sind: sie kühlen sich fortlaufend und viele andere Oberflächen werden daher ganz einfach wärmer. Die an kaltes Klima und lange Winter angepasste Blattstruktur der Nadelbäume erlaubt den beinahe Stillstand dieser Transpiration im Winter, was den Baum vor dem Vertrocknen (Frost und Schnee, die Wurzeln stehen im Trocknen) und Nadelabwurf bewahrt. Nicht so Laubbäume, sie müssen ihre Blätter abwerfen um den Wasserverlust zu stoppen. Nun also: Weil Tannen im Winter den Atem anhalten und die eintreffende Sonnenenergie NICHT der Verdunstung dienen muss, wirkt sie erwärmend. Nicht viel, doch wenn alles andere unter der Schneedecke winterschläft, reicht dieser minimale Temperaturvorsprung des Nadelwaldes aus, um Aufwind entstehen zu lassen.
Auf der Alpennordseite gelegene Waldgesellschaften nahe der Baumgrenze bestehen mehrheitlich aus Fichten und bestechen nicht allein in artspezifischer Hinsicht durch Einheitlichkeit: die einzelnen Bäume erreichen durchwegs auch eine identische Wuchshöhe. Zu kleine Exemplare fristen ein Schattendasein bis zum Eingehen, wer indes nach oben ausschert, wird vom Wind bestraft. Daher bilden die Wipfel eines in einem steilen Südhang gelegenen Forstes eine einigermaßen ebene Gleitbahn, ein Kissen, auf welcher/welchem die durch die Bäume erwärmte Luft langsam hangaufwärts gleitet und so bis zum Abriss ihren Wärmevorsprung kontinuierlich erweitert.
Fazit: Thermik finden wir im Winter über (möglichst) 45°-steilen, südexponierten Fichtenwäldern nahe der Baumgrenze. Um mit etwas Höhe in die Thermik einsteigen zu können, sind wir auf Winterstartplätze auf ca. 2000 m ü. M. angewiesen. Man sollte davon ausgehen, dass für Gleitschirme nutzbare Winterthermik ungefähr zwischen 12:00-14:30 Uhr Schweizer Winterzeit entstehen kann.
Probieren geht über Studieren, daher auf von der Theorie in die Praxis und zu einer Auswahl an Fluggebieten mit Winterthermik.
Thermikfliegen im Winter ist nicht SpitzenpilotInnen mit hochklassigen Schirmen vorbehalten, sondern all jenen, die kalte Finger und Zehen auf sich nehmen und es versuchen! Jakobshorn Davos (Bild: Ueli Neuenschwander).