Rückseitenwetter

Auf Regen folgt meist Sonnenschein

Kaltfronten und ihnen vorauseilende Böenlinien gilt es fliegerisch zu meiden. Anders verhält es sich mit der Front-RÜCKSEITE, also dem, was die Kaltfront in ihrer Schleppe führt. Diese RÜCKSEITE kann für das Flachland gleichbedeutend sein mit besten Flugbedingungen, während inneralpin Regen fällt und südseits der Alpen der Föhn geht. Soviel Wettervarietät auf kleinem Raum schreit nach einem Erklärungsversuch, will man zur rechten Zeit am richtigen Ort sein.

Warme und Kalte Luft treffen sich

Die Schweiz liegt in der Westwindzone und unser Wetter/unsere Wetteränderungen kommen daher wenig überraschend aus Westen. Westwindlagen (es gibt verschiedene) sind dann auch die häufigste Grosswetterlage in der Schweiz. Westwindlagen-Wetter ist wechselhaft – repräsentativ stelle man sich typisches Aprilwetter vor – und geprägt von einem Wechsel zwischen warmen Luftmassen aus dem Süden und kälteren aus dem Norden. Da, wo unterschiedliche Luftmassen aufeinandertreffen (Fronten), gibt es Knautsch, es kommt und vergeht, es wechselt das Wetter. Diese Frontdurchgänge (also Warm- und Kaltfronten) führen nord- und südseits der Alpen, im Flachland, den Voralpen und inneralpin zu unterschiedlichem Wetter – und Flugbedingungen von gut bis miserabel.

Kalte Luft bahnt sich ihren Weg

Vielleicht nicht ganz zu recht, wird die Kaltfront in Fliegerkreisen wenig geschätzt. Unbestritten können der Durchzug einer Kaltfront und die diesem möglicherweise einige Stunden vorauseilenden Böenlinien in der Luft gefährlich sein. Die Zuggeschwindigkeit (30-80km/h) einer Front ist mess- und damit ihr "Fahrplan" gut prognostizierbar; auch wenn die Kaltfront ohne weit vorauseilenden Wolkenvorboten aufzieht, überrascht kann von ihr nur werden, wer kopflos und ohne Vorbereitung fliegen geht. Der eigentliche Durchzug dauert nicht lange, 30-60min, rechnet man die fliegerisch heiklen prä- und postfrontalen Phasen mit, bleibt es gleichwohl ein Ereignis von absehbarer Dauer, ungefähr 3-6 Stunden. Übers Jahr betrachtet, sind Kaltfrontdurchgänge im Sommerhalbjahr eine gewaltigere Angelegenheit und mit deutlicheren Begleiterscheinungen (Gewitter, Sturmböen, Temperaturstürzen, etc.) verbunden als im Winter. In jedem Fall aber passiert eine Kaltfront nicht unbemerkt und bringt Umwälzung mit sich - Revolution! -; stabil Geschichtetes wird destabilisiert, die Wetterkarten neu gemischt. Und darum gilt es die Kaltfront zu schätzen: bei allen Pauken und Trompeten und unfliegbaren Stunden, eine Kaltfront bringt frische, labile und darum aufwindträchtige Luft.

Auf der Rückseite

Gleich unmittelbar nach dem Durchzug der Kaltfront, sprich auf der Rückseite, sinkt die Luftmasse grossräumig ab und es kommt zur Wolkenauflösung, man spricht von postfrontaler Subsidenz, eine kurzfristige (einige wenige Stunden) Wetterbesserung tritt ein. In dieser Phase nun trifft die Sonne auf die feucht-labile Luft, in der Folge setzt Verdunstung ein und sehr schnell bilden sich Cumuluswolken mit tiefen Basen, der blaue Himmel verschwindet zusehends wieder. Die mit der einfliessenden Kaltluft einhergehende Abkühlung verstärkt diesen Vorgang (kalte Luft ist schneller feuchtigkeitsgesättigt denn die abziehende warme), die Cumuli wachsen und es bilden sich Schauer. Kalte Luft hat in unseren Breiten ihren Ursprung gemeinhin im Norden, warme im Süden. Getreu dieser Tatsache ändert sich mit dem Einfluss der Kaltluft auf der Rückseite die Windrichtung vom präfrontalen und frontalen SW/W auf postfrontales NW. Die Kaltfront kommt oft stürmisch daher und auch auf der Rückseite bleiben die Windgeschwindigkeit vorerst sportlich. Durch den Richtungswechsel auf NW/N wird die feucht-labile Luftmasse gegen den Alpenbogen geschoben und dort massiert und angehoben: es kommt zur Staulage und zu Niederschlägen in den Voralpen und Alpen. Ungeachtet des Luftdruckunterschieds ist nun damit zu rechnen, dass sich auf der Alpensüdseite zumindest kurzweilig eine Nordföhnlage etabliert. Um dieses postfrontale Geschehen zeitlich umfassen zu können, kann über den Daumen gepeilt davon ausgegangen werden, dass dies alles in den ersten 12 Stunden nach dem Kaltfrontdurchgang geschieht, je nach dem, was folgt, dauert es an.

Wie weiter?

Nach dem tiefdruckigen Tumult der Kaltfront kommt es immer zu einem Druckanstieg (kalte=schwere Luft=höherer Druck), das ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Hochdruckeinfluss, noch nicht. Der weitere Verlauf des Wettergeschehens kann sehr unterschiedlich ausfallen. Die Alpensüdseite lassen wir nun mal ausser Acht; die potentiell föhnige/unfliegbare Situation dort entschärft sich vorerst nicht, ungeachtet der Folgeszenarien. Ein solches Szenario, das klassische und häufigste, ist der Hochdruckeinfluss. Das die Fronten bringende Tief zieht nach Osten weiter und das darauffolgende Hochdruckgebiet etabliert sich allmählich, es kommt zur Wetterberuhigung, der Wind dreht zusehends im Uhrzeigersinn von NW in Richtung NO, Absinkvorgänge setzen ein, es wird wieder blauer. Ist dieser Hochdruckeinfluss nur von kurzer Dauer (zwei Tage schönes Wetter zum Beispiel) und das nächste Tief absehbar, ist die Rede von Zwischenhoch. In einer sehr lebendigen, stürmischen Westwindlage kann es vorkommen (das ist ein weiteres Folgeszenario), dass Frontdurchgänge sehr schnell gestaffelt hintereinander passieren, es bildet sich also keine Rückseite aus und auf Front folgt Front; unfliegbares, von Tiefdruck bestimmtes Hudelwetter herrscht.

Die zwei Seiten der Rückseite

Die beiden folgenden Bilder wurden zum selben Zeitpunkt aufgenommen, am 30. April 2022 um 10:10 Uhr. Zwei Stunden zuvor passierte eine schwache Kaltfront die Schweiz. Das erste Bild zeigt den Blick vom Üetliberg Kulm über das Auegstertal und Säuliamt in Richtung Süden: postfrontale Subsidenz, der Himmel wird löchrig blau, die Sonne heizt ein, es verdampft der Niederschlag und es bilden sich Cumuli mit tiefen, unterschiedlich hohen Basen. Das sieht doch schon mal vielversprechend aus! (Quelle: Rountshot Üetliberg)
Das zweite Bild fängt den Blick vom Weissboden im Schächental über das Haldi zum Hoch Fulen in Richtung Süden und Alpenhauptkamm ein: geschlossene Wolkendecke mit Schauern und wenigen Anzeichen auf eine kurzfristige Wetterbesserung. Hier sind wir am falschen Ort! (Quelle: Roundshot Biel-Kinzig)

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Das Höhentief spielt die Musik oder bläst den Marsch

In jedem Fall entscheidend, ob es nach der Kaltfront zu fliegbarem Rückseitenwetter kommt, ist das zum Bodentief gehörende Höhentief. Solange das Höhentief die Schweiz noch nicht überquert hat, dem Bodentief nachhinkt und über dem Alpenraum liegt, kommt es zu keiner Wetterberuhigung. Durch das Höhentief wird in der oberen Atmosphäre fortlaufenden kalt Luft zugeführt, die starke Labilisierung und vertikalen Umwälzung der Luftmasse findet kein Ende: es bleibt nach dem Kaltfrontdurchgang (sprich nach Weiterzug des Bodentiefs) gewitterig, schaurig und starkwindig. Um der Fachbegriflichkeit Genüge zu tun: man spricht von Zyklonaler Rückseite. Erst also, wenn das Höhentief abzieht und wärmere Luft in der Höhe einfliesst, kommt es zur Wetterberuhigung und -besserung, die Revolution ist vorbei, wir habe antizyklonales, fliegbares Rückseitenwetter. Lang lebe Königin Thermik!

Die Rückseite fliegen

Auch eine antizyklonale (Hochdruck bestimmte) Rückseite ist unbeständig und eine vorübergehende Wettersituation. Die Niederschlagsaktivität an den Nordalpen bleibt bestehen und die Wolkenbasen heben sich erst allmählich. Da wo die Sonne durchdringt, ist mit sehr guten thermischen Bedingungen zu rechnen. Es gilt also, im oder möglichst nah am sonnenbegünstigten Flachland zu bleiben. Will man das regulieren, könnte man sagen: je weiter nördlich, desto besser. Der Schwarzwald, die Vogesen und die angrenzenden Gebiete auf Schweizer Boden wären also top. Bekannt für tolle Rückseitenflugbedingungen in der Zentralschweiz sind der Zugi und der Tritt und, sobald die Windstärke abnimmt, der Üetzgi (thermisch, ohne Bise). Wird gemeinhin das Flachland erst ab April/Mai thermisch relevant, kann es auf einer Rückseite auch schon im März überraschend gut fliegen. Bei fortlaufendem Hochdruckeinfluss stabilisiert sich das Flachland und die Hotspots verschieben sich immer näher den Alpen zu. Die Alpensüdseite ist bei Rückseitenwetter nicht empfehlenswert - wenn auch Sonnenschein begünstigt, muss mit Föhn gerechnet werden.
Durch die thermisch sehr aktive Luftmasse mit Tendenz zur Überentwicklung und den erst allmählich abnehmenden Windgeschwindigkeiten, können auf der frischen Rückseite knackige Flugbedingungen herrschen, für die eine oder den andern vielleicht zu knackig. Gemäss alter Fliegerweissheit ist der zweite Tag der Rückseite/nach der Front, der bessere Flugtag; die Restfeuchtigkeit ist verdunstet, der Wind schwächer und dem Streckenversuch im Flachland steht nichts mehr im Weg. Eine weitere Weissheit: Je schneller die Wolkenauflösung nach dem Kaltfrontdurchzug einsetzt, desto unbeständiger das folgende Wettergeschehen. Und eine letzte: Je länger der Text, desto tiefer die Konzentration und Aufnahmefähigkeit. Darum nun bitte blättern! Viel Vergnügen und schöne Flüge auf der nächsten Rückseite!

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