Paraworld Reiseleiter Dominic Rohner erfüllt sich seinen lange gehegten Traum und reist zum Gleitschirmfliegen in den sagenumworbenen Karakorum. Nach einem ersten 2-wöchigen Eindruck ist er begeisterter den je von der Region und hat sich geschworen im nächsten Jahr besser vorbereitet zurückzukehren.
Seit über 10 Jahren, ganz genau seit jenem Tag als Brad Sander seinen unglaublichen Streckenflug von über 200 km quer durch den Karakorum auf XContest publizierte, wusste ich, dass ich den Norden Pakistans bereisen muss. Brad erreichte auf seinem Flug eine Höhe von beinahe 8000 m ü. M. und schoss Fotos von den längsten Gletschern ausserhalb der Pole, von vereisten Felsnadeln und von grünen terrassierten Tälern, deren Flanken in einem Zug auf bis knapp 8000 m ansteigen. Unten Fluss, dann grün und kultiviert, etwas höher beginnen die braunen, schroffen Bergflanken, die auf etwa 6000 m ü. M. in eine ewige Eiswelt übergehen. Bilder, die mir nie mehr aus dem Kopf wollten.
Sicherheitsbedenken betreffend des Reisens in Pakistan und das Fehlen eines motivierten Reisepartners, hielten mich über 10 Jahre lang davon ab, dieses Flugprojekt umzusetzen. Als ich vor ein paar Monaten auf die Ausschreibung eines Gleitschirmwettkampfes im pakistanischen Teil des Kaschmirs stiess, inklusive Zusatzwoche in eben diesem Teil Pakistans, war der Flug so gut wie gebucht.
Wegen eines schweren Erdbebens im Kaschmir wurde der Wettkampf jedoch kurzfristig abgesagt, noch bevor ich in Pakistan landete. So verfrachtete die Wettkampfleitung die angereisten Piloten schon eine Woche früher ins Hunzatal als geplant. Nach 2 Tagen Reisen auf holprigen Strassen, über Pässe und vorbei am 8126 m ü. M. hohen Nanga Parbat, kamen wir im Epizentrum der pakistanischen Hochgebirgsfliegerei an. Epizentrum ist natürlich relativ. In Pakistan gibt es ca. 40 Piloten. Dazu schart sich jedes Jahr eine Handvoll Abenteurer, die das Hunzatal als Quasi-Basicamp für ihre Gleitschirmexpeditionen wählen. Bis anhin waren das nur sehr wenige. Die bekanntesten darunter sind John Sylvester, Brad Sander und sehr aktuell natürlich Antoine Girard. Letzterer hatte vor 2 Jahren den 8051 m hohen Broad Peak überhöht und dabei die grösste je erflogene Höhe erreicht. Mit diesem Flug verewigte er sich für immer in den Gleitschirmgeschichtsbüchern (vielleicht schreibt die ja mal jemand).
Jetzt, Ende September 2019, sind zum ersten Mal rund 40 Piloten aus ca. 20 Ländern im Hunzatal. Man könnte fast meinen, es sei Wochenende im Engelbergertal, bloss sind die Berge dreimal so hoch. Da mein ganzes Gepäck irgendwo zwischen Zürich und Islamabad steckengeblieben ist, darf ich die Ausrüstung einer netten Neuseeländerin ausleihen. Kurz nach Ankunft schwinge ich mich auch schon in die dünne Luft des Karakorums. Adäquat ausgerüstet mit Turnschuhen und Jeans, aber einer ausgeliehenen bauchfreien Daunenjacke balge ich mich erst durch 1500 Höhenmeter rauhe, recht stabile Luft. So zwischen 4500 und 5000 m ü. M. wird die Thermik langsam stärker und organisierter. Allerdings wird es auch kalt und bei 5500 m ü. M. machen sich, wenig erstaunlich, stechende Kopfschmerzen bemerkbar. Ich fliege noch schnell am Ultar und am Ladyfinger vorbei und drehe dann schlotternd vor Kälte in Richtung Landeplatz ab.
Am 3. Tag stehe ich endlich mit meiner eigenen Ausrüstung am Start. Wenn man die richtigen Leute kennt, können in Pakistan kleine Wunder geschehen. Und scheinbar gehören unsere pakistanischen Pilotenfreunde und Organisatoren zu den richtigen, also eigentlich zu den wichtigen und einflussreichen Leuten in diesem Land. 20 Stunden nachdem meine Ausrüstung in Islamabad gelandet ist, steht sie auch schon unversehrt in meinem Hotelzimmer. Gebracht von einem Vertrauensfahrer, dessen einzige Mission es war, meine 2 Gleitschirmausrüstungen unbeschadet und so schnell wie möglich nach Hunza zu bringen.
Warum 2 Ausrüstungen? Weil man einen Wettkampf nunmal nur mit einem Wettkampfschirm gewinnt, gleichzeitig aber kein normaler Mensch mit einem Wettkampfschirm im Karakorum herumfliegen wird. Nun gut. Endlich stehe ich mit Lightness und M7 (Danke Ueli), in ettliche Schichten Daunen gepackt und mit Sauerstoffschläuchen und Flaschen versehen (Thx Brad) am Startplatz. Die Wolkenbasis steht schon um 9 Uhr früh auf ungefähr 5500 m ü. M. Ich bin nach wie vor etwas nervöser, als ich das gerne wäre. Die Luft ist dünn, die Startgeschwindigkeit also hoch, der Startplatz recht holprig und mit grossen Steinen durchsetzt. Meine Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt durch all die Kleidung und das Sauerstoffsystem. Das Hantieren der Bremsen ist neu, da ich wegen der Kälte sogenannte Parapuffs über den Bremsen montiert habe. Parapuffs sind umfunktionierte, abgeschnittene Daunenjackenärmel. Sie werden um die Bremsgriffe herum montiert, um so die behandschuhten Hände zusätzlich zu wärmen. Hoffentlich.
Die Thermik ist wieder holprig. Um Höhe zu gewinnen, muss ich in der stabilen unteren Schicht nahe am Gelände fliegen. Die Kombination aus Turbulenz, hoher Fluggeschwindigkeit, Geländenähe, Nervosität lässt mich hochkonzentriert fliegen. Endlich wird die Luft auf 5000 m ü. M. sauberer und die Thermik auch stark. Nicht unbedingt stärker als ich das von den Hochalpen gewohnt bin, aber im Schnitt sicher einen Tick aggressiver. Immer wieder kommt eine Freak-Thermikblase daher, die meinen Schirm mal 90° nach rechts, das nächste Mal nach links und dann der Vollständigkeit halber 90° vor mich buxiert. Aus grosser Höhe und durch die Wolkenschwaden hindurch betrachtet sieht die Gegend den Alpen plötzlich ähnlich. Mein erstes Tagesziel ist es, die nähere Umgebung zu erkunden und mögliche XC-Routen zu rekognoszieren. Zweitens muss ich das Sauerstoffsystem kennenlernen und mich an das neue Bremssetup mit den Parapuffs gewöhnen.
Das Hunzatal ist eingerahmt von vereisten 7000ern Berge. Der Höchste von ihnen ist der majestätisch schöne Rakaposhi. Mit seinen 7788 m ü. M. ist er allgegenwärtig und auf meinem ersten 100 km Flug im Karakorum immer in Sichtweite. Die Wolken haben hier weniger vertikale Ausdehnung als bei uns und regnen in diesen Tagen sehr schnell aus oder besser gesagt, eisen aus. Der Niederschlag erreicht dabei aber nie ganz den Talboden, sondern verdunstet auf dem Weg dahin. Überhaupt wachsen und verschwinden die Wolken sehr schnell. Keine ist während meinem 2-wöchigen Aufenthalt zu einem richtigen Gewitter angewachsen. Der Downwash des Eisregens aber macht sich an den Bergflanken deutlich mit starkem Abwind bemerkbar. Zu meinem grossen Erstaunen war der Talwind meist relativ schwach und wurde nur bei nahendem Regen unangenehm stark. Diese Beobachtung gilt aber nur ganz lokal für das Hunzatal um Karimabad.
Am 4. Tag wurde auf Wunsch der lokalen Regierung ein Wettkampf geflogen. Da den Organisatoren klar war, dass ein konventioneller Wettkampf in dieser Umgebung viel zu riskant ist, wurden der Einfachheit halber die längsten Flüge des Tages prämiert. Am Abend wurde mir nach ca. 10 verschiedenen Ansprachen und Huldigungen von wichtigen und auch weniger wichtigen Politikern der Pokal für den nicht allzu prestigeträchtigen 2. Platz übergeben.
In der darauf folgenden Woche erlaubte das Wetter nur noch kurze, lokale Flüge. Haarsträubende Motorradausflüge in entlegene Dörfer sorgten aber für den nötigen Nervenkitzel. Der allerletzte Tag schenkte uns nochmals einen wunderbaren Nachmittagsflug in einmalig klarer Herbstluft.