Schon bei der Reisevorbereitung war klar: Wir wollen das letzte, echte Abenteuer suchen, schöne Landschaften entdecken und tolle Bilder mit nach Hause nehmen. Natürlich mit dem Gleitschirm im Gepäck, aber ohne das Erlebnis ausschließlich vom Gelingen der längsten und höchsten Flüge abhängig zu machen. Die Hochtäler von Peru, den Titicacasee und die Salzwüste von Uyuni wollen wir unbedingt sehen. Die Besteigung und Befliegung zumindest von einem der zahlreichen, herrlichen Vulkane Boliviens, soll einer der Höhepunkte unserer Reise werden.
Die Materialschlacht für das Unterfangen ist nicht bescheiden und sprengt unausweichlich die Gewichtslimite jeder Airline. ADVANCE ist begeistert von unserem Vorhaben und stellt uns grosszügig zwei komplette Flugausrüstungen zur Verfügung (Sigma9 mit brandneuem Lightness2). Ein Ultraleichtgurtzeug, Zelt und Schlafsack, Gaskocher, Fischerrute und die komplette Fotoausrüstung gehören selbstredend mit ins Gepäck.
Schliesslich stehen wir frühmorgens am 23. Oktober auf 3800 Meter an unserem ersten peruanischen Startplatz, hoch über dem Urubamba-Tal. Die Luft ist dünn hier oben, und wir merken, dass wir noch nicht gut akklimatisiert sind. Die Morgenthermik lässt nicht lange auf sich warten und schon bald können wir starten. Schnell geht es hoch auf über 4700 Meter, zum Teil in starker Thermik. Ein ockerfarbener Teppich aus bewirtschafteten Feldern liegt tief unter uns, und der Blick öffnet sich weit auf die zerklüfteten Hochtäler des Valle Sagrada. Mit dem Wind im Rücken sausen wir auf Cuzco zu. Da wir jedoch unsicher sind, wie die Landschaft vor und um Cuzco herum aussehen würde und ein von dort abfliegender Airbus beeindruckend nahe in den Wolken verschwindet, landen wir nach etwas über einer Stunde nahe der Hauptstrasse. Chauffeur Luis entpuppt sich als guter Rückholer, der noch dazu eine hohe Funkdisziplin an den Tage legt: "Copia, vengo!".
Die Reise geht weiter südwärts mit dem Etappenziel Lago Titicaca, dem grössten und höchstgelegenen Süsswassersee der Erde. Keine fünf Minuten nach der bolivianischen Grenze führt eine steile Strasse hoch zu den Antennenmasten über dem Städtchen Copacabana. Dort hinauf müssen wir. Kaum oben angelangt, heben wir ab. Die Szenerie, welche sich uns bei dieser Abendsoaring-Session bietet, ist einmalig: Im Westen sinkt die Sonne immer tiefer und schaut zwischen weit entfernten, peruanischen Gewitterwolken zu uns herüber. Nordwärts zeigt sich der Lago Titicaca in seiner ganzen, unfassbaren Grösse und bildet mit dem Horizont eine Linie. Im Osten stehen die verschneiten Sechseinhalbtausender Boliviens in der Abendsonne. Und mittendrin, hoch über Copacabana, "Los Suizos" unter ihren farbigen Tüchern. Wir überfliegen das Städtchen und setzen uns über den Cerro Calvario, den lokalen Aussichtspunkt, wo auch andere Touristen den Sonnenuntergang geniessen. In der Abenddämmerung landen wir schliesslich stilgerecht an der Copacabana Beach und sind damit definitiv in Bolivien angekommen.
Wieder ein paar Tage später erreichen wir die Ausläufer der nördlich von La Paz gelegenen Cordillera Real. Die Nacht im Zelt war kalt, und wir stehen bereits um 9 Uhr in Vollmontur am Startplatz auf rund 4800 Metern, direkt am Fusse des Nevado Huayna Potosi (6088m). Einige friedlich weidende Lamas sind die einzigen, welche die Morgenstunden hier oben mit uns teilen. Wir befürchten schon, der Wind sei bereits wieder zu stark zum Starten. Also nichts wie raus, ein paar Mal hin und her soaren und der Einstieg in die Morgenthermik ist gefunden – und die ist gut, sogar sehr gut! Das Vario schreit unaufhörlich, und wir erreichen innert Kürze die 6000 Metermarke. Nachdem die warmen Handschuhe montiert sind - gut, das hätte man auch schon früher machen können - steige ich erneut in den Schlauch und folge Ueli auf knapp 6500 Meter. Handschuhe wieder runter, denn damit kann ich die Kamera nicht bedienen. Es ist saukalt hier oben, aber es reicht für ein paar schöne Bilder. Die Luft ist spürbar dünn, die Euphorie beinahe grenzenlos - zugegeben, ein bisschen Respekt vor der grossen Höhe schwingt auch noch mit. Doch als wir hoch über dem Gletscher auf den Gipfel des Nevado hinunterblicken, überwiegt die Freude definitiv und unter dem wärmenden Kopfstrumpf installiert sich ein nicht wegzubringendes Dauergrinsen. Die Szenerie: Gegen Norden öffnet sich der Blick weit auf die Cordillera Real, im Osten grüsst in weiter Ferne der Lago Titicaca, und im Süden steht der Moloch La Paz in der Morgensonne. Weit unter uns liegt die Laguna Milluni und einige weitere kleine Lagunen, deren Ufer vom erzhaltigen Gestein rötlich schimmern. Als Spielball der Elemente kommt man sich unendlich klein vor hier oben und fühlt sich dabei einfach grossartig - dass wir das erleben dürfen!
Vom Gipfel fliege ich schliesslich wieder talauswärts und ziehe ein paar mal eine Spirale - und merke dabei, dass mein Puls deutlich höher geht, als gewohnt. Als ich schliesslich butterweich am Talboden aufsetze, wartet dort schon ein breit grinsender Ueli auf mich und wir fallen uns in die Arme. Die Fotos sind gelungen, das Erlebnis in Worten kaum zu beschreiben; eigentlich könnten wir jetzt nach Hause fahren......
Doch wir wollen mehr und machen uns auf den Weg Richtung Süden zur Salar Uyuni, der mit über 10'000 Quadratkilometern grössten Salzpfanne der Erde. An deren nördlichen Ende erhebt sich der Vulkan Cerro Tunupa bis auf 5340 Meter. Dort wollen wir hinauf. Am späten Nachmittag erreichen wir den Fuss des Tunupa und machen uns mit Gleitschirm, Schlafsack und Verpflegung auf dem Rücken auf den langen Weg zum Gipfel. Im klassischen Alpinisten-Kriechgang (die dünne Luft verzeiht keine schnellen Schritte), erklimmen wir die von Dornbüschen und Wüstengras übersäten Ausläufer des Vulkans. Die Abendsonne bietet ein herrliches Schauspiel: Der zerklüftete Krater zeigt sich in seiner ganzen, rötlich-gelblich leuchtenden, Pracht. Auf ca. 4500 Metern - es wird bereits dunkel - schlagen wir im Schutze eines grossen Steines unser Nachtlager auf. Weit unter uns die grosse Salzwüste, über uns ein von wenigen Wolken verhangener Sternenhimmel mit einem halbvollen Mond, welcher die Landschaft um uns herum hell beleuchtet. Am nächsten Morgen erreichen wir um ca. halb acht den Kraterrand. Damit jeder sehen kann, dass sich die Mühe gelohnt hat, hat irgend jemand mit grossen Steinen die Zahl 5000 auf den Boden geschrieben - so hoch stehen wir hier. Wir blicken in einen gegen Osten offenen Kraterhalbkreis, welcher umsäumt ist von nochmals ca. 300 Meter höheren, zackigen Felsen, die sich majestätisch gegen den stahlblauen Himmel abheben. Weit unter uns die blendend weisse Endlosigkeit des Salzsees. Wir geniessen die Aussicht und beschliessen, noch eine halbe Stunde zu warten, in der Hoffnung, die Morgenthermik würde uns eine Überhöhung des Kraters ermöglichen.
Nachdem wir unsere Ausrüstung bereit gemacht haben, dreht auch der Wind auf. Nur leider von hinten. Zwar kann sich hin und wieder auf unserer (bevorzugten) Startseite eine Ablösung durchsetzen, aber diese währt jeweils nicht lange. Eine Spur Verzweiflung kommt auf, haben wir doch lautstark zum Besten gegeben, dass wir hier garantiert nicht mehr hinunterlaufen würden. Doch auch ein paar hundert Meter tiefer, bessert sich die Situation nicht. Schnell ist uns beiden klar, dass der Weg zurück nicht durch die Luft gehen würde. Wir beginnen im steilen Gelände unsere Ausrüstung wieder einzupacken. Der Abstieg erweist sich als weit weniger beschwerlich als angenommen, und der immer stärker werdende Wind bestätigt die Richtigkeit unserer Entscheidung. Zwei Stunden später verstauen wir unsere Ausrüstung wieder auf dem Pickup. Trotz dem entgangenen Flug sind wir überglücklich, diesen Berg bezwungen zu haben. Die dünne Luft hat uns überhaupt nichts ausgemacht, und die gemütliche Nacht unter dem sternenbedeckten Himmelszelt war nicht nur erstaunlich warm, sondern auch bezaubernd schön.
Die Reise führt uns schliesslich weiter in den Sajama Nationalpark, wo die höchsten Vulkane Boliviens zu finden sind. Von tausend schönen Eindrücken überwältigt, verbringen wir danach noch einige entspannte Tage an der chilenischen Pazifikküste in Iquique, bevor wir müde und überglücklich die lange Heimreise antreten.